Sonntagsöffnung des Tagestreff im Winter

Warum ich beim Sonntagsdienst mitmache

Die Gründung des Tagestreffs im April 1988 ist mir nicht in Erinnerung , weil ich sie gar nicht registriert hatte.

Ich hatte eigene Sorgen: Ich steckte tief im Studium, nachdem es mit anderen Berufen davor einfach nicht geklappt hatte. Mein Sohn war anderthalb Jahre alt und meine Frau verdiente draußen in der feindlichen Welt das Geld für die Familie. Erst 1994, ohne akademische Zukunft, ohne Beruf, als frisch gebackener Mitarbeiter der Leine-Zeitung, hörte ich von der Einrichtung: Ich sollte was drüberschreiben.

An Wohnungslose in Wunstorf – in meiner Jugend haben wir noch politisch unkorrekt „Obdachlose“, wenn nicht „Penner“ gesagt – erinnere ich mich auch deutlich weit vor 1988: Sie gehörten schon damals zum Stadtbild und lösten in mir Halbwüchsigem eine unbestimmte Angst aus.
Eines ist mir ganz deutlich in Erinnerung: Ich erfuhr vom Tagestreff erst, als er bereits in Gefahr war. Ich selbst war nicht mehr in Gefahr, beruflich, meine ich, bei der Leine-Zeitung hatte sich eine Berufsperspektive ergeben, aber es gab andere Probleme, solcherart, dass ich auf der Straße hätte enden können, wenn ich meine Frau und meinen Sohn nicht gehabt hätte. Eigene Probleme, davon bin ich überzeugt, sofern sie uns nicht über den Kopf wachsen, sondern nach und nach in den Griff zu bekommen sind, machen uns aufnahmefähig für die Probleme von anderen. Sensibilität beginnt bei mir selbst.

Ende 1994 und Mitte 1995 hieß es also: Die Schließung des Tagestreffs ist nur eine Frage der Zeit. Gisela Kolle und Manfred Ratzmann erläuterten mir die Einzelheiten des Problems: Mangel an Geld – und Mangel an Verantwortungsbewusstsein bei Behörden, wie mir schien. Auch zu Betroffenen knüpfte ich vorsichtige Kontakte. Ich machte mir ein Bild, das, wie es eben so zu gehen pflegt, sich desto mehr differenzierte je näher ich trat. Nun war die drohende Schließung auch mein Problem. Nicht in dem Sinne, dass ich zu irgendeiner heroischen Ausmistung eines Augiasstalls aufgerufen worden wäre, aber es drängte mich, „irgendwas“ zu machen.

Ich machte was ganz Kleines, was Einfaches, in meinem Beruf Naheliegendes. Ich schrieb einen Kommentar, und darin kam tatsächlich die Frage vor: „Warum also gründet niemand einen Förderverein für den Tagestreff?“ Das war gar nicht der abwägende, sachliche Stil, den ein Journalist pflegen sollte. Aber ich fand es tatsächlich mindestens fragwürdig, dass im Naturschutz mehr möglich sein sollte als im Menschenschutz. Doch das war leicht gesagt, und: Papier ist geduldig.
Es gab dann, erinnere ich mich dunkel, eine Veranstaltungsreihe zur Rettung des Tagestreffs, und auch eine Podiumsdiskussion im Frühjahr 1996, die sich für mein Gefühl recht lange hinzog. Sie ist mir trotzdem in Erinnerung geblieben.

Superintendent Claus Dieter Henkelmann hatte mich mit einem persönlichen Bekenntnis tief beeindruckt: Er schilderte in aller Öffentlichkeit in nüchternen Worten, wie er bei den ersten Begegnungen mit Wohnungslosen, die an der Tür der Superintendentur im Stift um dies und jenes baten, gegen unvermittelt erwachende Vorurteile und tiefsitzende Ängste ankämpfen musste. Ich hatte das von einem Superintendenten einfach nicht erwartet; Ängste und Vorurteile schon, aber nicht das Bekenntnis dazu. Am Ende dieser langen Podiumsdiskussion in der Stadtkirche hatte ich dann auch endlich eine Nachricht, von der sich zu schreiben lohnte: Ja, hieß es, als die Versammlung schon halb in Auflösung begriffen war, ja, wir könnten auch einen Förderkreis gründen. Irgendjemand hatte meine bis dahin papierene Frage nach einem Förderverein aufgenommen und dort als Frage formuliert, und jemand hatte sie beantwortet.

Im Mai 1996 wurde tatsächlich der Förderkreis gegründet. Eine Menge verantwortungsbewusster Menschen hatte sich bereitgefunden. Allen voran Superintendent Claus Dieter Henkelmann. Das verblüffte mich ein weiteres Mal:
Wo jeder eine sicher vernünftige Ausrede parat hatte, den Vorsitz abzulehnen, da sagte der Superintendent schließlich: Gut, ich mache das, und nahm zu seinem gewiss nicht leichten Hauptamt auch noch die Bürde eines solchen Ehrenamtes auf sich. Es war selbstverständlich für mich, von Anfang an Mitglied zu sein; mehr aber nicht, denn auch ich hatte vernünftige Ausreden.

Im Laufe dieser Zeit – von 1994 bis 1996 – hatte ich eines recht schnell spitz gekriegt: Der Tagestreff war, trotz der anfänglichen Angriffe, in der Bevölkerung akzeptiert, das gilt auch heute. Viele Vereine und Organisationen bis runter nach Hagenburg spenden regelmäßig dafür. Aus privaten Haushalten kommen Kleidung, Essen und ideelle Unterstützung: Zuspruch. Der Förderkreis war die logische Folge dieser offensichtlichen Einbettung, nicht mehr und nicht weniger. Und die Wohnungslosen gehörten zum Stadtbild, sie störten es nicht, sondern ergänzten es. Die Befürchtungen von Bedenkenträgern, die Stadt werde den Andrang Betroffener nicht mehr bewältigen können, hatte sich als gelinde gesagt unbegründet erwiesen.

Dann verlor ich den Tagestreffpunkt wieder aus den Augen: berufliche und private Sorgen plagten mich. Als alles wieder einigermaßen im Lot war, öffneten sich auch wieder meine Ohren, und ich hörte vom Plan der Sonntagsöffnung. Es gab, wie ich erfuhr, inzwischen einen „harten Kern“ Ehrenamtlicher, die viel für den Tagestreffpunkt taten, und ich hatte abseits gestanden – mit einer Entschuldigung zwar, aber um Ausreden ist ja selten jemand verlegen. Die geplante Sonntagsöffnung hatte für mich diesen fordernden Unterton: Tu es. Also tat ich es und meldete mich als Freiwilliger für den Sonntagsdienst. Es ist wenig genug, was ich da tun kann, aber das will ich gern tun.

Weil ich auch nicht auf der Straße leben möchte, mir aber vorstellen kann, wie verlassen das ist; weil ich auch jeden Tag nach Hause gehen kann, und nicht nur montags bis freitags; weil es eine verhältnismäßig leichte Aufgabe ist; weil der harte Kern der Ehrenamtlichen und der Superintendent Anspruch auf meine geringe Hilfe haben; weil es nicht geht ohne Menschen, die sagen: Ich mach das. Deshalb mache ich mit beim Sonntagsdienst.

Bernd Riedel
 

Einleitung
Eindrücke eines Ehrenamtlichen von Manfred Mech
Was soll ich dazu sagen? von Besucher Dieter
Wir sind dabei von Christina Haberland

 

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